Gera - Objekt des Monats: Abwurfstange eines Rentiers mit Ritzzeichnungen

Gera -  Objekt des Monats: Abwurfstange eines Rentiers mit Ritzzeichnungen

Die Entdeckung der Lindenthaler Hyänenhöhle war für das Fürstentum Reuß jüngere Linie eine Sensation!

1874, im Spätherbst, wurden im Zusammenhang mit dem Ausbau der heutigen Reichsstraße im Stadtteil Pforten weitreichende Bauarbeiten durchgeführt. Das Gelände des „Kanonenberges“ wurde eingeebnet, und dabei wurde eine Spaltenhöhle entdeckt. Wegen der etwa 200 Meter nordöstlich liegenden Gastwirtschaft „Lindenthal“ und der zahlreichen geborgenen Fossilien von Höhlenhyänen erhielt sie die Bezeichnung „Lindenthaler Hyänenhöhle“.
In der freigelegten Felsspalte fanden sich jedoch nicht nur Jahrtausende alte Tierknochen – neben Höhlenhyänen unter anderem auch von Mammuts und Wollnashörnern. Es wurden auch Feuersteinwerkzeuge und Reste von Jagdutensilien vom Ende der letzten Eiszeit gefunden. Die Menschen, die diese Objekte hinterließen, gehören zur sogenannten Magdalénien-Kultur (vor ca. 20.000 bis 14.000 Jahren). Der beeindruckendste dieser Funde ist die Abwurfstange eines Rentiers mit Gravuren. Die Ritzzeichnung ist Zeugnis des frühesten künstlerischen Schaffens in unserer Region. Das Dargestellte bleibt jedoch Gegenstand der Interpretation, da uns Kenntnisse zu den konkreten Abbildungswillen und den geistigen Vorstellungen der Erschaffenden fehlen. Sehr wahrscheinlich ist jedoch von einem Jagd- und Fruchtbarkeitsmotiv auszugehen. Aus Richtung der Geweihbasis wurde eine, am Anfang gegabelte, doppelt geschwungene Linie tief in das Material geritzt.
Bei der Deutung spielt besonders die Ausrichtung des Objekts eine Rolle. Wird das Stück mit der Basis nach oben betrachtet, könnte es sich um eine Frauendarstellung handeln. Diese passt in den wissenschaftlich bekannten Fundtypus Gönnersdorf. Aus der Gegenrichtung und unter Einbeziehung der übrigen Ritzlinien kann die Darstellung auch als Kopf- und Rückenpartie eines Mammuts interpretiert werden. Bei dieser Sichtweise fällt jedoch auf, dass Stirn- sowie Augenvorsprung fehlen und auch der Rüssel nur angedeutet ist. Markant ist ein gebohrtes Loch in der Mitte des „Schädels“, das als Auge des Mammuts verortet wäre. Eventuell handelt es sich bei der Mammutdarstellung um eine spätere Umarbeitung der stilisierten Frauengestalt.

Die Abwurfstange und weitere Funde menschlichen Schaffens sind bis zum 9. März in der Studioausstellung „Menschen der letzten Eiszeit - Anfänge von Kunst und Handwerk“ im Stadtmuseum Gera zu sehen. Das Naturkundemuseum zeigt noch bis zum 24. August 2025 die Sonderausstellung „Giganten der letzten Eiszeit - Von Höhlenhyänen und Wollhaarnashörnern“.

 

Text: Konrad Kessler

Abbildung: Anfänge der Steinzeitkunst, Stück eines Geweihs, in das vor ca. 10.000 Jahren Linien eingraviert wurden, ©Ulrich Fischer